Passivität: Darum bleiben Probleme ungelöst
Das Passivitätskonzept 

In den meisten Fällen können wir Erwachsene unsere Probleme gut lösen. Wir haben ein Dach über dem Kopf und können uns ernähren. Es gibt jedoch auch Bereiche im Leben eines jeden Menschen, die nicht ganz so rund laufen. Manche sind Langzeitstudenten und werden mit ihrer Abschlussarbeit nicht fertig. Andere können ihre Probleme am Arbeitsplatz nicht lösen; und wiederum andere hätten gern einen Partner, bekommen ihn aber nicht.

Wenn Menschen ihre Probleme nicht effektiv lösen, dann kann uns das Passivitätskonzept der Transaktionsanalyse tiefere Einblicke in die Ursachen geben. In diesem Artikel lernst du die psychologischen Mechanismen kennen, wie Menschen ihre Probleme ungelöst lassen.



1. Drei Gründe, warum wir Probleme nicht angehen

Die folgenden 3 Gründe zeigen, warum Menschen ihre Probleme nicht angehen, ja sogar Energie aufwenden, damit diese bestehen bleiben.

  1. Aufrechterhalten des eigenen Selbst- bzw. Weltbildes. Denn wird das infrage gestellt, dann werden wir aus unserer Komfortzone geworfen und müssen erstmal schauen, wie wir mit den neuen Informationen umgehen, die nicht zu unserem Selbst- und Weltbild passen.

  2. Ein anderer Grund für Passivität können unbewusste und tief sitzende Glaubenssätze sein. Ein Mensch, der mit einem gefühlsmäßigen “Schaff’s nicht” herumläuft, könnte viel Zeit mit Saubermachen verbringen, statt Bewerbungen zu schreiben.

  3. Ein dritter Grund könnte darin bestehen, abhängige Beziehungen aufrechtzuerhalten. Menschen machen sich von anderen abhängig, weil sie unbewusst glauben, dass sie einen anderen Menschen brauchen (Symbiose). Das sieht man in manchen Partnerschaften.


2. Darum scheinen Probleme unlösbar 

Wenn wir uns passiv Verhalten, dann gehen wir davon aus, dass wir das Problem nicht lösen können. Diese Annahme haben wir, weil wir Dinge nicht zur Kenntnis nehmen, die relevant für die Lösung des Problems sind. Das führt dazu, dass wir die Realität verzerrt wahrnehmen. Das bedeutet, die Grundlage passiven Verhaltens ist eine Abwertung der Realität. 

Passivität

Jede Abwertung wird begleitet von einer Über- oder Untertreibung. Irgendein Aspekt der Realität wird größer oder kleiner dargestellt, als er eigentlich ist. Der Volksmund sagt, dass aus einer Mücke ein Elefant gemacht wird, oder dass man versucht, ein Kamel durch ein Nadelöhr zu zwängen. Zum Beispiel kann eine Abwertung der Realität stattfinden, wenn ein Mitarbeiter seinen eigenen Energiehaushalt überschätzt und immer mehr Verantwortungen auf der Arbeit übernimmt. Irgendwann fällt er für mehrere Monate aus, weil er einen Burnout hat.

Eine Abwertung ist ein gefühlsmäßiger und gedanklicher Vorgang und deswegen erstmal nicht direkt beobachtbar. Was wir jedoch beobachten können, sind Verhaltensweisen, seien es in der Sprache oder durch Handlungen.


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3. Passivitätskonzept - So erkennst du Passivität in deinem Verhalten

Wenn Menschen sich passiv Verhalten, dann agieren sie gemäß einer der folgenden vier Verhaltensweisen. 

  1. Nichts tun
  2. Überanpassung
  3. Agitation / Aktionismus
  4. Selbstbeeinträchtigung oder Gewalt

In gewisser Weise bauen die vier Formen aufeinander auf. Von Stufe zu Stufe aufwärts wird immer mehr Energie eingesetzt, um Lösungen zu verhindern. So ist die Stufe 4 schon extrem schädlich für die beteiligten Personen.

Lass uns diese vier Verhaltensweisen genauer anschauen:

1. Nichts tun

Beim Nichtstun wird Energie verwendet, um jeden aufkommenden Gedanken an eine mögliche Lösung zu unterbinden, statt sie zur Problemlösung zu nutzen. Jemand, der diese Verhaltensweise zeigt, fühlt sich dabei unwohl. Die Fähigkeit, überhaupt etwas zu tun, wird abgewertet.

Passivität

Ein Beispiel: Ein Mitarbeiter wird von seinem Vorgesetzten im Meeting immer wieder öffentlich angegriffen. Statt sich angemessen zu verteidigen, sagt der Mitarbeiter gar nichts.

2. Überanpassung

Jemand in Überanpassung geht scheinbar auf das ein, was andere von ihm erwarten.

Er oder sie erzählt sich buchstäblich eine "Brav-Geschichte". Diesen selbst erfundenen Geschichten wird mehr Glauben geschenkt, als der Realität; man hofft dabei, dass die anderen diese Geschichte auch glauben. Jedoch finden nach der Überanpassung keine weiteren Schritte in Richtung Problemlösung statt.

  • Sandra hat zum wiederholten Mal die Aufgaben vergessen oder liegen lassen, die ihr von ihrem Chef aufgetragen wurden. Zur Rede gestellt, gibt sich Sandra dem Chef gegenüber beflissen und brav. “Bis nächste Woche habe ich alles erledigt, und ich werde auch noch die angedachten Aufgaben gleich angehen." Eine Woche später sind die Aufgaben nur unvollständig oder gar nicht erledigt.
Passivität

Diese Überanpassung wird von der Umgebung zunächst positiv bewertet, weil sie der Umgebung durchaus gefällig erscheint. Die Täuschung hält aber nicht lange an und es stellt sich heraus, dass der Ärger um so größer wird.

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3. Agitation / Aktionismus

Bei Agitation / Aktionismus wird die Vermeidung der Lösungshandlung durch “viel tun” umschifft. Viel Aktivität soll darüber hinwegtäuschen, dass die Lösung unbekannt ist oder vermieden werden soll. Die Geschichte, die man sich selbst und anderen erzählt, lautet: Wer viel tut, wird schon was Richtiges tun und ist auf jeden Fall nicht zu kritisieren.

  • Tom hat als Führungskraft ein dickes Problem. Eigentlich müsste er dem Vorstand melden, dass seine Ressourcen für das vorgegebene Ziel nicht ausreichen. Stattdessen setzt er vier neue Changeprozesse auf und stellt noch sein EDV-System um. Soll keiner sagen, er hätte nicht alles versucht.

Der/die Betreffende fühlt sich unbehaglich. Menschen versuchen dann dieses Unbehagen zu dämpfen, indem sie sich vielen, aber sinnfreien Tätigkeiten hingeben. 

Es wird Energie auf “alles Mögliche” gelenkt, statt auf die Problemlösung. 

Passivität

4. Selbstbeeinträchtigung oder Gewalt

Wer diesem Passivitätsmuster unterliegt, hat eine sehr bedenkliche Ebene des Verhaltens erreicht. Er oder sie, macht sich selbst in irgendeiner Weise unfähig oder reagiert mit Gewalt gegen Sachen oder Personen. 

  • Irina steht unter Stress, weil ihr Chef sie unter Druck setzt. Statt die eigentliche Ursache anzugehen, bekommt sie Migräne und wird vom Arzt krank geschrieben. 

Aber auch Gewalt scheint eine Lösungsvariante zu sein. Leider mit bösen Folgen.

  • Sebastian ist eifersüchtig und hat schon seit einiger Zeit Probleme in seiner Ehe. Eigentlich müsste er dringend mit seiner Frau darüber sprechen, aber er fürchtet sich vor den Konsequenzen. Bei einem Grillabend im Verein hat ein Gast seine Frau angeflirtet. Kurzerhand schlägt er dem vermeintlichen Kontrahenten mit der Faust ins Gesicht. Seiner Ehe ist dieses Verhalten abträglich.

Wenn jemand eine der vier passiven Verhaltensweisen zeigt, dann ist dem eine gedankliche Abwertung voraus gegangen.


4. So erkennst du Passivität in der Sprache

Lass uns jetzt auf die Kommunikation schauen: Vielleicht kennst du das? Sie fragt ihn: “Besuchen wir am Wochenende meine Eltern?” Er entgegnet ihr: “Am Wochenende soll das Wetter schlecht werden.” Er hat ihre Frage umgedeutet. Ständig benutzen wir die ein- oder andere kleine Vermeidungs-Möglichkeit, um einer unangenehmen Sachlage zu entgehen. Umdefinieren scheint leichter zu gehen, als eine Antwort mit Konfliktpotential zu geben. Er hat nicht auf das reagiert, was gesagt wurde, sondern auf seine gewohnten Denkmuster. 

In der Transaktionsanalyse bezeichnet man das als Tangentiale Transaktionen. Bei Tangentialen Transaktionen verschiebt die Antwort ein Stück die Fragerichtung. Es wird zwar das Thema aufgegriffen, jedoch unter einem anderen Aspekt beleuchtet. Der Fokuspunkt des Gespräches wird verschoben. 

In Gesprächen, in denen viel tangential kommuniziert wird, entsteht manchmal das Gefühl, dass es nichts bringt oder sich die Teilnehmer im Kreise drehen. Auch wenn dir das Wort im Munde herumgedreht wird, handelt es sich um eine Tangentiale Transaktion. Denn das Thema wird vom eigentlichen Fokus weg gelenkt. 

Eine weitere Form von sprachlichen Ausweichstrategien sind die blockierenden Transaktionen. Bei einer Blockierenden Transaktion wird eine Auseinandersetzung mit dem Thema vermieden.

Zum Beispiel: "Liebst du mich?" "Komm du erstmal pünktlich!"

Blockierende Transaktionen sind frustrierend, aber dafür leichter zu erkennen als Tangentiale Transaktionen. Bei Blockierenden Transaktionen kann es zu einer raschen emotionalen Eskalation mit nachhaltigen Folgen kommen. 

Es gibt sechs Möglichkeiten, auf Tangentiale und Blockierende Transaktionen zu reagieren. Eine davon ist, beim Thema zu bleiben und nochmals zu spezifizieren, worum es dir genau geht. „Schatz, es geht mir darum, ob du mich liebst und nicht, ob ich pünktlich oder zu spät komme“, oder: “Meine Frage bezog sich darauf, ob wir am Wochenende meine Eltern besuchen.”


5. Zusammenfassung

Das Passivitätskonzept der Transaktionsanalyse beschreibt, wie Menschen es anstellen, dass Lösungen für Probleme vermieden werden. Es beschreibt, wie sogar Energie zur Vermeidung aufgewendet wird.

Gründe dafür können sein: 1. Aufrechterhaltung des eigenen Selbst- und Weltbildes und 2. einschränkende Glaubenssätze oder Aufrechterhaltung abhängiger Beziehungen.

Wenn Menschen passiv sind, werten sie Teile der Realität ab. Das kann passieren durch Über- oder Untertreibungen. Auch komplettes Ignorieren zählt in diesem Sinne als Untertreibung.

Diese Abwertungen werden sichtbar durch vier passive Verhaltensweisen, wie Nichtstun, Überanpassung, Agitation/Aktionismus und Gewalt/Sabotage

In Gesprächen werden Abwertungen hörbar durch Tangentiale und Blockierende Transaktionen.


Über den Autor: Steffen Raebricht 

Gründer von TA+

Transaktionsanalyse-Trainer, Selbstständig, Universitäts-Dozent (UT-Dallas), Trainer, Coach, Autor, Imker

Hier erfährst du mehr über Steffen

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