Systemische Transaktionsanalyse - Wechselbeziehungen und Persönlichkeit im Fokus
Die systemische Transaktionsanalyse ist eine Weiterentwicklung der traditionellen Transaktionsanalyse (TA) von Eric Berne und den Gründungsmitgliedern. Sie wurde konzipiert, weil der systemische Ansatz die klassischen Konzepte der Transaktionsanalyse sinnvoll erweitert. Auf diese Weise lassen sich soziale Vorgänge noch besser erklären. In diesem Artikel erhältst du eine praxisbezogene Einführung in die systemische Transaktionsanalyse.1
Dieser Artikel entstand aus einem Interview mit Günther Mohr. Er ist Autor des Buches "Einführung in die systemische Transaktionsanalyse von Individuum und Organisation."
1. Was ist systemische Transaktionsanalyse?
Die systemische Transaktionsanalyse ist ein Zusammenwirken aus den Konzepten der Transaktionsanalyse und dem systemischen Ansatz. Während die klassische Transaktionsanalyse insbesondere das Individuum mit seiner Persönlichkeit und Fähigkeit zur Selbstbestimmung in den Fokus nimmt, richtet das systemische Modell den Blick deutlich auf Kontexte und Interaktionsmuster in Gruppen und Organisationen. Systemiker betrachten Dynamiken zwischen Personen und innerhalb von Systemen und betrachten die Einzelpersonen erst in zweiter Linie.1
Beide Denkrichtungen lassen sich verbinden. Die Kombination lässt einen Synergieeffekt entstehen, der eine größere Erkenntnisbreite bringt als beide Modelle für sich genommen. Mit ihren unterschiedlichen Fokussierungen greifen sie ineinander und ermöglichen so ein umfassenderes Verständnis einer Situation.1
Warum lassen sich die beiden Modelle gut verbinden?
Betrachtet man ein Unternehmen im Rahmen von Organisationsentwicklung, schaut man als Systemiker auf Zusammenhänge. Es werden beispielsweise Kommunikationsmuster der Organisation analysiert: Wie geht die Organisation mit Fehlern ihrer Angestellten um? Sind sie etwas Schlimmes? Das führt vielleicht zur Vertuschung oder zu gegenseitigen Schuldzuweisungen. Im systemischen Modell werden Persönlichkeitsäußerungen der in der Organisation Arbeitenden durch den Kontext oder die Situation provoziert. Nämlich beispielsweise im Zuge der Fehlerkultur.
Höchstwahrscheinlich anders würden sich die Angestellten verhalten, gäbe es einen offeneren Umgang mit Fehlern. Würden sie als Lernquellen gesehen werden, würde die Situation/ der Kontext nach dem systemischen Modell eher Austausch und Reflexion fördern.
Systemiker analysieren außerdem Rollen1, typischerweise der Überschneidungsbereich von Person und System. Etwa in der Frage: Was wird von einem Vorgesetzten in einer spezifischen Organisation erwartet? Muss dieser besonders dominant sein, um als solcher akzeptiert zu werden? Eine solche unbewusste Rollenerwartung könnte dazu führen, dass andere Führungsstile vielleicht gar nicht erst in Betracht gezogen werden. Das könnte die Möglichkeiten für frischen Wind in dieser Organisation verengen.
Wenn aufgrund gewonnener Erkenntnisse Interventionen auf der Organisationsebene eingeleitet werden, hat das einen Effekt auf die Mitarbeitenden. Beispielsweise, indem die Rollenzuschreibung "dominanter Chef" offengelegt und diskutiert wird.
Mit transaktionsanalytischen Modellen kann man dann schauen, welchen individuellen Beitrag die Einzelpersonen zur gesamten Dynamik hinzu fügt. Welche präferierten Persönlichkeitsanteile haben bestimmte Mitarbeiter? An welchen Stellen verstricken sie sich in psychologische Spiele? Das kann helfen, Veränderungen auf Organisationsebene mit Einzelbetrachtungen von Angestellten zu unterstützen.1
Das systemische Modell bietet einen Blick auf das Geflecht Transaktionsanalyse unterstützt durch die Einzelmodelle in der Tiefenschärfe und Einzelfallbetrachtung.1 Das ist vergleichbar wie mit einem Fotoobjektiv mit großem Zoom. Man kann die ganze Szenerie einfangen und bei Bedarf auf sehr nah heran zoomen.
Die systemische Denkweise und die Transaktionsanalyse lassen sich unter Anderem deshalb miteinander kombinieren, weil TA bereits systemische Elemente enthält.2 Das Konzept der psychologischen Spiele deckt beispielsweise unbewusste und schädliche Interaktionsmuster zwischen Menschen auf. Das Bezugsrahmenkonzept verdeutlicht, dass jeder Person ein individuelles Bild von einer Situation erzeugt (Konstruktivismus).
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2. Unterschiede zwischen der systemischen Transaktionsanalyse und der klassischen Transaktionsanalyse (TA)
Die klassische Transaktionsanalyse (TA), die in Kalifornien von Berne, Kupfer, Steiner, English, Gouldings und vielen anderen entwickelt wurde, entstand aus dem klinischen Umfeld heraus. Man versuchte das Verhalten von Menschen mit psychischen Störungen zu erklären. Die klassische TA verwendet vielfach Tools, die tendenziell in die Vergangenheit schauen.1 Sie arbeitet mit dem Gewordensein der Persönlichkeit von Menschen und deren individuellen Möglichkeiten, etwas an ihrem Leben zu verändern.
- "Wann ist dieses Problem entstanden?" (Entstehung nachvollziehen)
- Analyse von lebensgeschichtlichen Ereignissen (Bewusstsein erweitern)
Der Systemische Ansatz fokussiert auf die Gegenwart und die nahe Zukunft. Er ist vor allem Ressourcen orientiert.1
- "Was kann hier und jetzt helfen eine Lösung herbeizuführen?" (Ressourceorientierung)
- "In welcher Umgebung hätten Sie dieses Problem nicht?" (Kontextfrage)
- "Was würde ihre Kollegin dazu sagen?" (zirkuläres Fragen)
Als Systemischer Transaktionsanalytiker schaut man, was gerade gebraucht wird. Metaphorisch gesprochen: Wenn man eine Pflanze mit welken Blättern hat, schaut man, was sie jetzt gerade braucht (Wasser? Licht? Dünger?), statt tief zu graben und unter die Wurzeln zu kommen. Es wird nach Ressourcen geschaut. Welche Personen könnten etwas verändern? Welche anderen Betrachtungsweisen auf die derzeitige Situation gibt es noch? TA Konzepte werden herangezogen, um Menschen psychologische Orientierung zu bieten.
3. Entstehung der systemischen Transaktionsanalyse
Dr. Bernd Schmid war der Erste, der die Konzepte der Transaktionsanalyse - am Anfang noch mit einem Buch im Selbstverlag 1986 - mit dem systemischen Ansatz verknüpfte. Damit konnte er Verbesserungen in seinen Beratungseffizienz erzielen.3 Systemische Transaktionsanalyse ist so interssanterweise eine deutsche Erfindung. Sein Buch "Systemische Professionalität und Transaktionsanalyse" aus 2003 veriefte diese neue Strömung.
Neben Bernd Schmid hat auch Günther Mohr zum Thema publiziert: Einführung in die systemische Transaktionsanalyse von Individuum und Organisation1
Systemische Gedanken halten zunehmend Einzug im transaktionsanalytischen Denken.
4. Systemische Transaktionsanalyse Beispiele
Beispiel 1 - Familie
Der Vater eines erwachsenen Sohnes ärgert sich, dass dieser sich nicht meldet. In einer systemischen Musteranalyse stellt sich heraus, dass der Vater die unbewusste Regel hat: "Kinder müssen sich melden." Diese Regel hat der Sohn jedoch nicht. Auf Nachfrage teilt dieser mit: "Ich habe mich immer wieder gemeldet. Irgendwann hatte ich keine Lust mehr. Beziehung ist keine Einbahnstraße. Deswegen reduzierte ich meine Kontaktaufnahmen." Hier könnte der systemische Transaktionsanalytiker der Hypothese folgen, dass die Passung in der jeweiligen Wirklichkeitskonstruktion (Bezugsrahmen) fehlt. Verändert man durch Kommunikation die jeweilige Sicht auf die Themen Verbundenheit und Verhalten in Bezug auf Geben und Nehmen, um in Beziehung zu bleiben, dann wird Verständigung in einer gemeinsam geteilten "Wirklichkeit" ermöglicht.
Beispiel 2 - Betrieb
Eine Führungskraft beklagt sich, dass die Vertriebsmitarbeitenden zu wenig effektiv sind. Ein systemischer Transaktionsanalytiker führt eine Analyse der Organisationmuster durch, bei der herauskommt: Wenn Vertriebler ein Angebot an einen Kunden schicken wollen, wird dieses von der Angebotsabteilung erstellt. Diese war jedoch nie in Kontakt mit dem Kunden. Die Angebote werden zwangsläufig ungenau. Die Vertriebsmitarbeitenden müssen daher ständig nacharbeiten. Das geht sogar so weit, dass sie die Angebote selber schreiben. In der Zeit können sie keine Neukunden gewinnen. Wurde das Problem aber bemängelt, hieß es von der Führung: "Ihr habt doch eine Abteilung für Angebote!" Anschließend wurde dieses Interaktionsmuster offen gelegt. In Einzelcoachings werden jetzt die Vertriebsmitarbeitenden mit klassischen Transaktionsanalyse-Konzepten darin geschult, ihre Bedürfnisse auf angemessene Weise einzufordern. Dazu werden das Drama-Dreieck, die Ich-Zustände und das Vertragskonzept herangezogen. In Folge berufen die Vertriebsmitarbeitenden eine Teamsitzung ein, und fordern neue Strukturen. Als die Führungskraft zunächst nicht darauf eingehen möchte, zeigen sie entsprechende Konsequenzen dieser Abwertung von Lösungsmöglichkeiten auf. Das bewegt die Führungskraft, zusammen mit den Vertriebsmitarbeitenden eine sinnvollere Struktur zu erarbeiten.
5. Videointerview
Hier kannst du dir das Videointerview mit Günther Mohr und Steffen Raebricht anschauen.