Erkenntnisse gewinnen in der Einsamkeit 

Eine Visionssuche (Vision-Quest) ist etwas sehr Persönliches. Sie ist ein Ritual, das so alt ist, wie die Menschheit selbst. Durch den Rückzug vom Alltagsleben sollen neue Erkenntnisse erlangt werden

  1. über sich selbst
  2. und wie man in der Welt ist.

Es ist zu Vergleichen mit Mönchen, die in Klausur gehen, Buddhisten, die sich ins Retreat zurückziehen oder Raupen, die einen Kokon bilden, um zu Faltern zu werden. Bei einer Visionssuche zieht man sich zurück in die Natur. 

In diesem Beitrag beschreibe ich, wie ich meine Visionssuche 2019 erlebt habe. Meine Erfahrungen, Fragen und Antworten sind keinesfalls zu Verallgemeinern. Ich teile sie, um dir einen Eindruck davon zu geben, wie diese Arbeit sein kann. Jeder, der sich traut, sich selbst auf diese Weise zu konfrontieren, wird eine ganz eigene Geschichte zu erzählen haben. Eine Visionssuche ist eine Erfahrung, an die man sich sein Leben lang erinnern wird.

Visionssuchen haben übrigens nichts mit Transaktionsanalyse (TA) zu tun. Wenn du mehr über TA erfahren willst, kommst du hier weiter.


Was muss ich tun, um eine tiefere Verwurzelung zu erreichen?


Mit dieser Frage trete ich meine innere Arbeit an und ziehe mich zurück in die Natur. Ich habe zehn mal zehn Meter Weidefläche zur Verfügung, ein Zelt und Wasser. Nichts zu Essen. Kein Smartphone. Nichts zu schreiben. Und auch kein Schnitzmesser.

Abends bereite ich ein Feuer vor, um der Auszeit einen Rahmen zu geben. Drei Schubkarren Holz fahre ich an meinen Platz. Bei Abenddämmerung zünde ich es an. Mein Freund Wolfgang ist bei mir. Er selbst hat auch schon einige Visionssuchen gemacht. Mit Ende 60 hat er Erfahrung. Wir sitzen beim Feuer und arbeiten an einer Fragestellung für die Zeit im Rückzug.

Ich hole mein Notizbuch hervor, in das ich über die letzten Wochen viele Aspekte meines Themas aufgeschrieben habe. Unter anderem:

  • "Ärger, wenn ich mich nicht gesehen fühle"
  • "Ich habe arrogante Gedanken, die ich loswerden will"
  • "Ich brauche mehr Bodenständigkeit"

Aus diesen Notizen formen wir meine Frage: „Was muss ich tun, um eine tiefere Verwurzelung zu erreichen?“ Ich will bodenständig und verwurzelt sein, wie ein Baum. Damit ich persönlich über mich hinauswachsen kann.

Das Dämmerlicht hat sich inzwischen in einen Sternenhimmel verwandelt. Die Glut ist zu heiß, so dass ich ein Stück nach hinten rücke. Die fünf Kühe auf der Weide kommen interessiert an uns heran und gesellen sich zu unserem Beisammensein.

Es ist an der Zeit für Wolfgang zu gehen. Ich beginne meinen Rückzug in die Natur. Ich habe meine Frage auf einem Zettel notiert. Den Stift gebe ich ab. Was ich ebenfalls bewusst nicht habe, ist eine Taschenlampe. Deswegen trete ich beim Ertasten des Zelteinganges in einen weichen Kuhfladen, der meinen Fuß wärmend umschließt.

Die erste Nacht schlafe ich durch und wache in einen sonnigen Tag auf. „Alles klar, alles schön.“ Ich schaue aus meinem Zelt heraus auf die Weide. Dann schlafe ich wieder ein. So mache ich das den ganzen Tag. Abends kommt Wolfgang kurz zu mir. Er will sich erkundigen, ob alles in Ordnung ist. Mir ist ein wenig langweilig und ich habe jetzt 24 Stunden nichts gegessen. Doch ich konnte den Tag gut überstehen. Viele Menschen glauben ja, dass sie nicht ohne Essen auskämen. Aber das stimmt nicht. Es wird keinen Kreislaufzusammenbruch geben. Der Magen tut nichts mehr als knurren. Das war’s. Menschen können ohne Probleme mehrere Wochen ohne Essen auskommen.

Als es immer mehr dämmert, ziehe ich mein Zelt zu und kann auch diese Nacht wieder gut schlafen. Als ich aufwache, ist es bereits wieder hell. Wie spät es ist, kann ich nicht genau sagen. Ich habe keine Uhr dabei. Auch anhand der Sonne kann ich nicht ablesen, ob es um sieben Uhr oder um zehn Uhr ist. Tatsächlich ist es auch egal, denn ich weiß, dass ich hier so lange sitzen werde, bis ich die Antwort auf meine Frage habe: „Was muss ich tun, um eine tiefere Verwurzelung zu erreichen?“

Ich nehme mir meinen Zettel mit der Frage und beginne sie immer wieder zu wiederholen. Wie ein Mantra:

  1. „Was muss ich tun, um eine tiefere Verwurzelung zu erreichen?“
  2. „Was muss ich tun, um eine tiefere Verwurzelung zu erreichen?“

Der Tag zieht sich hin wie Kaugummi. Immer wieder meldet sich mein Magen. Ich beobachte mich selbst dabei, wie ich immer wieder an verschiedene Gerichte denken muss: Senfeier, Ofenkartoffeln, Spiegeleier…

Auf der Weide ohne Möglichkeit mich zu beschäftigen, leide ich an Langeweile. Das ist gewollt. Ich soll auf mich selbst zurückgeworfen sein. Mein Zeitempfinden dehnt sich gefühlt unendlich aus. Es ist, als wäre ich im ewigen Jetzt gefangen und die Zeit will nicht vergehen. Mal gehe ich im Karree, mal liege ich, mal sitze ich und dann alles wieder von vorn.

Das Nichts. Unser automatischer Denker. Unser Bewusstsein.

Als die Dämmerung des zweiten Tages einsetzt, bin ich nervlich schon etwas angefressen. Die Langeweile und der Hunger machen mir zu schaffen. Aber ich will eine Antwort haben, die nicht aus dem Denken kommt, sondern aus der Seele.

Nachts wache ich auf. Draußen ist es duster. Ich höre, wie die Kühe ganz in meiner Nähe grasen. Meine Augen sind geschlossen. Auf einmal tauchen kaleidoskopartige Bilder vor meinem inneren Auge auf.


Mir wird schwindelig. Ich fühle mich so, als ob ich in einen Strudel gesogen werde. Meine Herz schlägt immer schneller. Ich fühle Aufregung. Eine innere Stimme sagt zu mir: „Alles gut, Steffen.“ Ich spüre auf einer tieferen Ebene, dass wirklich alles gut ist. Dennoch hat ein Teil von mir auch Angst. Ich lasse ihn Angst haben und konzentriere mich auf das, was gerade passiert.

Die Stimme sagt zu mir: „Du musst dein Bewusstsein im Nichts verankern.“ Das ergibt für mich Sinn. Es ist eine spirituelle Antwort.

Das Nichts ist der Ort, aus dem nach der buddhistischen Lehre alles entspringt. Wenn wir etwas Denken, woher kommt dann dieser Gedanke? Gedanken kommen aus dem Nichts. Die Stimme erklärt mir, dass mein Denker (der Teil in uns, der ununterbrochen Gedanken produziert) bisher direkt an das Nichts gekoppelt war. Mein Bewusstsein (also die Instanz in uns, mit der man sich selbst beobachten kann) ist bisher an den Denker gekoppelt. Das bedeutet, dass es mich denkt und dann kann ich diese Gedanken beobachten.

Die Antwort der Stimme deutet mir, dass es möglich sein muss, die Reihenfolge vom Denker und von der Bewusstheit (Beobachter) zu tauschen, sodass das Bewusstsein direkt ans Nichts gekoppelt ist und dann erst der Denker kommt. Das hätte den Vorteil, dass ich meine Gedanken bewusst wählen könnte. Ich würde nicht mehr gedacht werden, sondern ich würde nur noch aktiv denken.

Wenn du auf dem Flur einen Arbeitskollegen triffst und er dich nicht anschaut, gibt es eine Bandbreite von Gedanken, die dir dazu kommen könnten:

  • Der ignoriert mich.
  • Der kann mich nicht leiden.
  • Was habe ich jetzt wieder falsch gemacht?
  • So ein arroganter Idiot.
  • Der hat bestimmt einen schweren Tag.
  • Vielleicht ist er gerade in Gedanken versunken.

Wir können uns nicht aussuchen, was wir in einem solchen Moment denken. Die Gedanken kommen aus dem Nichts und unser Denker denkt sie. Der Denker ist ein Teil von uns. So wie deine Hand ein Teil von dir ist. Du bist aber nicht deine Hand. Wenn deine Hand dir aus irgendeinen Grund abhanden kommt, bist du nicht weniger du selbst. Dir fehlt zwar die Hand, aber du bist als Mensch noch komplett. Dasselbe Prinzip gilt für das Denken. Auch wenn du nicht denkst, bist du immer noch ein ganzer Mensch. Das ist ziemlich schwer zu verstehen, weil viele Menschen glauben, dass sie ihr Denken sind. Das ist jedoch eine Illusion. Ein selbst-bewusster Mensch kann mit Hilfe seines Bewusstseins wahrnehmen, was ihn denkt. Er kann dann auch bewusst weitere Gedanken denken. Denn der Denker ist ein Werkzeug, so wie unsere Hände. Bei vielen Menschen ist der Denker jedoch die Schaltzentrale. Eine Verwechselung.

Die Stimme, die zu mir spricht stellt in Aussicht, dass man sein Bewusstsein ans Nichts koppeln kann. Das bedeutet, dass man sich aussuchen kann, was man denkt. Das hätte große Vorteile. Es macht einen Unterschied, ob ich denke: „So ein Idiot“ oder „Vielleicht ist er gerade in Gedanken versunken.“

Als nächstes sagt mir die Stimme: „Weiteres erfährst du morgen Nacht.“

Alles besteht aus Illusionen

Für mich bedeutet das: Einen weiteren langen Tag auf der Weide verbringen. Keine Beschäftigung, kein Essen. Dementsprechend lang zieht sich die Zeit. Ich sehe Rehe vorbeilaufen und einen Feldhasen aus dem Gras aufschauen. Immer mal wieder schauen die Kühe vorbei. Die Zeit scheint still zu stehen.

Abends bin ich aufgeregt. Als ich mich schlafen lege, kommt am Übergang zum Einschlafen die Stimme. Ich sehe ein paar Bilder, die ich nicht beschreiben kann. Am ehesten hätte ich es als einen energetischen Umbau bezeichnen. Alles geht schnell. Ich wundere mich: „Das war’s jetzt?“ Die Stimme antwortet: „Jap.“ Ich spüre Enttäuschung, dass nicht noch mehr zu meiner bisherigen Erkenntnis dazu gekommen ist. Mehr passiert nicht in der vierten Nacht.

Morgens kommt Wolfgang vorbei und fragt mich, wie es mir geht. Ich sage, dass ich meine Vision habe. Ich soll mein Bewusstsein ans Nichts ankoppeln. Dann tauschen wir uns über mein Ergebnis aus. 

Er sagt: „Es sagt ja letztendlich aus, dass du allein dafür verantwortlich bist, wie du in der Welt bist. Alles besteht aus Illusionen. Wenn das Licht auf eine Kuh trifft, wird es von ihr reflektiert. Diese Reflektion der Kuh trifft auf dein Auge. Was auf dein Auge trifft, ist nicht die Kuh, sondern reflektiertes Licht. Deine Augen nehmen das Licht auf und leiten die Lichtimpulse an dein Sehzentrum weiter. Das sitzt hinten im Kopf. Dort ist es stockdunkel. Wir haben also gar keine Möglichkeit etwas so wahrzunehmen, wie es tatsächlich ist. Letztendlich sind wir alle mit unserer Wahrnehmung und wie wir die Ding sehen allein. Wir sind zusammen allein.“

Ich: „Ja. Jetzt in diesem Augenblick, wo wir uns unterhalten, ist jeder von uns beiden komplett in seiner Welt allein. Es liegt an uns, uns diese Welt schön zu machen. Und dass wir komplett allein sind heißt auch, dass wir uns alle Bedürfnisse erfüllen können. Meine Wahrnehmung ist in sich geschlossen. Sie ist jedoch an andere Wahrnehmungen gekoppelt, zum Beispiel an deine. Wenn wir uns bewusst werden, dass wir allem in unserer Welt selbst eine Bedeutung geben, dann brauchen wir ja nur noch den Schlüssel, es bewusst zu tun. Meine Antwort der Visionssuche sagt mir, dass es diesen Schlüssel gibt. Meine Aufgabe besteht nun darin, ihn zu finden.“

Ich entfache nach drei Tagen und vier Nächten erneut ein Feuer. Wolfgang hat eine Pfanne und Eier mitgebracht. Open flamed Rührei. Das ist das erste, was ich nach dieser Zeit esse. Mit Bedacht nehme ich ein Stück salziges Ei in den Mund und denke dabei zurück an die Antworten, die mein Denker auf meine Frage nach tieferer Verwurzelung gegeben hatte: 

  1. Vielleicht muss ich mehr Yoga machen
  2. Vielleicht muss ich eine Alexander-Technik-Lehrer-Ausbildung beginnen
  3. Vielleicht muss ich ein Beerdigungs-Ritual machen
  4. Vielleicht muss ich irgendwas mit meiner Familie klären
  5. Vielleicht muss ich mehr meditieren
  6. Vielleicht muss ich mehr den Augenblick genießen

All diese Dinge haben es nicht auf den Punkt gebracht. Sie sind naheliegend, aber sie treffen für mich nicht den Nagel auf den Kopf. Die Antwort, die ein wirklich tiefes „Ja“ in mir auslöste, kam aus einer völlig unerwarteten Richtung. Sie hat mir jedoch einen weiteren Weg aufgezeigt, auf den ich mich nun vortasten kann.

Vision Quest - Meine Learnings

Was nehme ich für mich mit:

  1. Ich lebe in meiner Welt und du in deiner Welt. Jeder ist in letzter Konsequenz für sich allein. Natürlich können wir auch ankoppeln, aber kein Mensch kann die Welt eines anderen wirklich nachvollziehen.
  2. Jeden Gedanke, den ich denke, könnte ich auch anders denken. Das Nichts enthält alle Möglichkeiten.
  3. Meine Gedanken brauche ich nicht zu ernst zu nehmen. Denn mein Denker denkt sie automatisch. Das bedeutet nicht, dass sie wahr sind oder förderlich. Ich kann bestimmen, welche Gedanken ich glauben will und welche nicht. Ich bin nicht meine automatisch gedachten Gedanken. Sie sind nur ein Teil von mir, so wie das Rad eines Autos nicht das Auto ist.
  4. Ich gibt scheinbar die Möglichkeit, sich von seinen automatisch gedachten Gedanken zu lösen und sich aktiv für Gedanken entscheiden. Das hat weniger mit Kontrolle zu tun als mit Achtsamkeit.
  5. Bewusster Verzicht kann noch mehr mein Wohlstands-Bewusstsein fördern.
  6. Es gibt die Möglichkeit meine Welt zu bewusst zu gestalten, indem ich mein Bewusstsein an das Nichts ankopple. 

Als mir noch einmal auf einem ganz neuen Level bewusst wird, dass ich meine ganz eigene Welt habe, stellen sich mir nur nur zwei Fragen:

„Was willst du machen in deiner Welt?“

„Und wie kannst du das erreichen?“


Wenn du auch mal an einer Visionssuche teilnehmen willst, kannst du das hier tun.

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